Thomas
Mann hat von den Märchen, Legenden und Mythen gesagt, es gehe ihnen um die
"Durchsichtigkeit des Seins", die darin besteht, daß alles "Wahre" nur als
Rückkehr des Ursprünglichen, als Wiederholung in der Zeit, zu verstehen sei.
Meine Motivation mit Märchen zu arbeiten, beruht auf der Faszination, daß
die Erzählweise im Thema äußerst einfach, in der Anlage jedoch sehr komplex
und vielschichtig ist. Fragen, die sie aufgreifen, sind meist sehr umfassend
und laufen doch in der Regel in der Antwort auf eine Einsicht hinaus.
Symbol, Raum und Prozess sind die Grundelemente der Arbeit. Sie stehen in
direkter Verbindung zueinander und gleichzeitig sind sie das Gerüst einer
frei assozierten märchenhaften Geschichte. Lebenszyklen wie in den Märchen
sind in den drei Kammern (siehe Projektbeschreibung) wieder zu finden.
Die Gesetze und Kräfte, die im Märchen walten, brauchen sich nicht die Frage
nach der Glaubwürdigkeit zu stellen. Sie hat dort keine Berechtigung, trotzdem
verliert das Märchen dabei nicht den Bezug zur Wirklichkeit. Die Realität
bestimmt den Inhalt, den Stoff, einer Darstellungsweise und die Sprache. Hinter
jedem Helden stehen Erfahrungen und soziale Konflikte, die nicht nur gespiegelt,
sondern auch beurteilt werden.
1. Die Verwendung einer universellen Symbolsprache,
die dann verstanden wird, je näher ich mich selbst am Thema befinde. Erich
Fromm unterscheidet zwischen dem konventionellen, dem zufälligen und dem universellen
Symbol, das er als das bezeichnet, bei dem die Beziehung zwischen dem Symbol
und dem, was es symbolisiert, nicht zufällig, sondern ihm immanent ist. Es
wurzelt in der Erfahrung von der inneren Beziehung zwischen Emotion und Gedanke
einerseits und der sinnlichen Erfahrung andererseits. Man kann es deshalb
als universell bezeichnen, weil es allen Menschen gemeinsam ist. Es ist in
den Eigenschaften unseres Körpers, der Sinne und unseres Geistes verwurzelt
und nicht auf einzelne Menschen oder auf spezifische Gruppen beschränkt.
Verwendete Symbole:
Das Spiel mit den Glaskugeln drückt für mich Spontanität, Energie und ziellose
Beweglichkeit in alle Richtungen aus.
Der Stein : (Hauptelement der Arbeit) steht als Bild für das "Wesentliche".
Daher habe ich ihn (siehe Projektbeschreibung) in die mittlere Kammer des
Kellers plaziert, wo im Handlungsablauf im Märchen der Held seine Aufgabe
erfüllen muß.
C. G. Jung schreibt dem Stein die Symbolik für das Selbst und den unbewußten
Kern des Menschen zu.
Kohle: Ist als Material von mir wegen seiner absoluten Schwärze eingesetzt
worden. Gleichzeitig schließt sie den Kreislauf
(Klicker im 1. Raum), in dem sie gepreßt, wieder zum klarsten Stein
wird.
Schnee: Stille, Warten auf den Neubeginn.
2. Der Gebrauch von Räumen:
Im Märchen zu finden als Zeit und Ereignisräume sowie ganz spezifische Orte
für eine bestimmte Handlungsweise, z. B. der gläserne Berg, 13 Kammern, Gewässer,
Wälder, Schlösser, Meeresgrund.
Geistige oder seelische Entfernungen werden im Märchen durch räumliche Entfernungen
dargestellt. In der bildenden Kunst werden kontextbezogene Räume gesucht,
in denen sich Inhalt der Arbeit und Form direkt im Raum verbinden und vermitteln.
Ohne einen direkten Eingriff in die Architektur vorzunehmen, verändert sich
die Prägung eines Raumes mit jeder künstlerischen Arbeit neu. Die Kellerräume
der Johanneskirche werden in der Form genutzt, daß ich meine Arbeit zwar der
Raumsituation anpasse, der Raum jedoch eher inhaltlich der Arbeit dient,
z. B.: - die Grundstruktur von drei begehbaren Kammern, die Anfang und Ende
kennzeichnen.
- die Oberflächenbeschaffenheit der Wände und des Bodens, die projizierten
Videobänder werden direkt beeinflußt und gestärkt
- die Raumtemperatur. Der Betrachter muß die gewohnte Assoziation "Keller
= kalt" neu überprüfen.
- die vielfältige Begehbarkeit der Räume. Der Betrachter kann sich seine eigene
Sichtweise im Raum wählen.
Ganz spezielle Gegenstände und Nischen im Raum werden so durch die Lichtsetzung
beeinflußt, daß sie in den Hintergrund geraten, während andere durch die Plazierung
einer Projektion oder eines Objektes in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit
gerückt werden.
3.Der Verlauf in Prozessen:
Im Märchen dargestellt durch eine immer gleiche Struktur im Handlungsablauf.
Vom ersten Satz im Märchen, der meist das Problem der Geschichte beinhaltet,
bis zur Lösung werden 7 Phasen durchlaufen.
- Das Problem Die ersten Zeilen enthalten die Themenüberschrift der Handlung.
- Der Auszug Der Held verläßt die vertraute Umgebung meist unfreiwillig bzw.
aus dem Zwang, eine nicht zu lösende Aufgabe zu erfüllen.
- Die Isolation Der Held wird völlig auf sich zurückgeworfen. Alle bisherigen
Bezüge und Erfahrungen werden untauglich.
- Auftauchen des Helfers Tiere, Fabelwesen, weise Männer und Frauen.
- Die Prüfung Sie wird oft dadurch bestanden, daß der Prüfling seinen Willen
aufgibt und seine Aufgabe besteht, in dem er nur durch die Kraft der Liebe
und Hingabe den richtigen Weg findet.
- Die Rückkehr: Die Schwierigkeit, sich mit der vollzogenen Veränderung in
das normale Leben zu integrieren.
- Das Ziel: Die Integration (meist eigener Wesensanteile).
Prozeßhaftes in der Kunst Den Arbeitsvorgang als wichtigstes Element eines
Werkes zu betrachten, wird besonders bei Performances deutlich, bei denen
die Entwicklung im Raum, in der Zeit, der persönlichen Befindlichkeit, der
politischen Situation ect. Prozeßhaft in die Arbeit mit einfließt.
Die Entstehung der Arbeit hat ebenfalls prozessuale Elemente:
- Entrümplung der Räume; Was bleibt? Was gewinnt der Keller? Den Raum beeinflussen
durch Leeren und Neueinfüllen.
- Nach der Aufräumungsaktion finde ich eine alte Haarnadel im Keller. Sie
erhält von mir symbolische Bedeutung und wird Anstoß für Gedanken über Material,
Objekte, die inhaltlichen Strukturen für die Kammern und die Erweiterung der
Form des Objektes.
- Fast alle Videoprojektionen bestehen aus performistischen Handlungsabläufen
und werden aus diesem Grund videotechnisch nicht verändert, geschnitten oder
nachvertont. Originalgeräusche, die im Band störend empfunden werden, wie
das Verrauschen der Aufnahme durch Wind, bleibt unverändert.
Der Begriff "Prozess" schließt für mich auch das "Spiel" mit ein. Zitat
aus "Die Aktualität des Schönen" von H. G. Gadamer : "Das Spiel ist eine elementare
Funktion des menschlichen Lebens, so daß menschliche Kultur ohne ein Spielelement
überhaupt nicht denkbar ist...... .Impliziert ist das Hin und Her einer Bewegung,
die sich ständig wiederholt. Wo ein solches ständiges Kommen und Gehen von
Hin und Her vorliegt, d. h. eine Bewegung, die nicht an ein Bewegungsziel
gebunden ist. Die Freiheit der Bewegung, die hier gemeint ist, schließt ferner
ein, daß diese Bewegung die Form der Selbstbewegung haben muß. Selbstbewegung
ist der Grundcharakter des Lebendigen überhaupt."
4. Projektbeschreibung
Die bespielten Räume erreicht man über eine Treppe, die in den Heizungskeller
der Johanneskirche führt. Für meine Arbeit verwende ich die drei ehemaligen
Kohlekammern und den dazu gehörenden Gang (siehe Plan). Beim betreten
des Ganges stößt man zuerst auf einen auf dem Kopf gestellten Monitor: Eine
sandige Oberfläche, ein Hand fegt/streicht den Sand fort und Konturen eines
Gesichtes tauchen von unten auf, die auch gleich wieder im Sand verschwinden.
Als Ton sind leise Orginalgeräusche des rieselnden Sandes zuhören.
5.
Verwendete:
Literatur Campell: Der Heros in tausend Gestalten
Drewermann: Märcheninterpretationen
E. Fromm: Märchen, Mythen, Träume
C. G. Jung: Der Mensch und seine Symbole
H.-G. Gadamer: Die Aktualität des Schönen